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2 August 2024

The Rt Hon Lord Pickles PC

Vorsitzender der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken, britischer IHRA-Vorsitz

Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktages der Sinti und Roma am 2. August 2024

Liebe Überlebende, Eure Exzellenzen, Freunde,  

wir stehen hier im Epizentrum des Bösen und gedenken der Ermordeten und der Verschollenen. Wir gedenken auch derer, die in der Mordfabrik von Auschwitz-Birkenau und in den anderen Todeslagern Europas, die von den Nazis und ihren Kollaborateuren betrieben wurden, gelitten und überlebt haben.  

Der Holocaust und der Völkermord an den Roma sind gut dokumentiert. Es gibt viele Fotos, die sich in die Netzhaut einbrennen und unwiderrufliche Bilder hinterlassen, die man nicht vergessen kann. 

Für mich wird diese einzigartige und grausame Zeit durch zwei eindringliche Fotos versinnbildlicht, die zwei Kinder zeigen. Sie symbolisieren die Verschwendung und den Verlust eines jungen, verkürzten Lebens und das unerfüllt gebliebene Versprechen. 

Das erste Foto zeigt den verängstigten und verwirrten siebenjährigen Tsvi Nussbaum mit über den Kopf erhobenen Händen, umringt von schwer bewaffneten deutschen Soldaten am Ende des Warschauer Ghettoaufstands - ein Opfer, umgeben von Tyrannen.

Zweitens ist das Mädchen mit dem Tuch ein neunjähriges niederländisches Roma-Mädchen, das aus einem Eisenbahnwaggon blickt. Auch in diesem Fall haben wir einen Namen: Anna Maria 'Settela' Steinbach. Der Schrecken und die Hoffnungslosigkeit im Gesicht dieses jungen Mädchens werden mir immer in Erinnerung bleiben.   

Heute erinnern wir uns an Menschen wie Krystyna Gil - die viele von Ihnen persönlich kannten - und an Orte wie Szczurowa.   

Doch am 3. Juli 1943 trieb eine deutsche Polizeieinheit mit Hilfe örtlicher Bauern die Roma des Dorfes zusammen und brachte sie auf Fuhrwerken zum örtlichen Kirchhof.

Doch am 3. Juli 1943 trieb eine deutsche Polizeieinheit mit Hilfe örtlicher Bauern die Roma des Dorfes zusammen und brachte sie auf Fuhrwerken zum örtlichen Kirchhof.  

Dort wurden sie ermordet und in einem Massengrab verscharrt. Anschließend verbrannten die Nazis und ihre Kollaborateure die Häuser der Roma.  

Krystyna überlebte, weil es ihrer Mutter gelang, sie unbemerkt in die Hände ihrer polnischen Großmutter zu geben.  

Krystynas Mutter, ihr zehnjähriger Bruder, ihre zweijährige Schwester, drei Tanten und vier Cousinen wurden ermordet. 

Krystyna überlebte den Rest des Krieges, indem sie bei ihrer Nicht-Roma-Familie untertauchte.  

Der Mord an den 93 Roma in Szczurowa war kein Einzelfall.

Wir wissen von über 180 Orten allein in Polen, an denen Roma in großen Gruppen, manchmal zusammen mit Juden, hingerichtet wurden.  

Die polnischen Roma wurden also nicht nur in Vernichtungslagern umgebracht oder starben in Ghettos, sondern auch durch NS-Mordkommandos.  

Je nachdem, wann und wo man hinschaut, gibt es Unterschiede.  

Aber eine Sache bleibt konstant: Nichts davon hätte ohne die tief verwurzelten Vorurteile gegen die Roma geschehen können. Diese Vorurteile bestanden auch nach 1945 fort, und Krystyna widmete ihr Leben der Bekämpfung dieser Vorurteile.  

Sie setzte sich maßgeblich für ein Mahnmal zur Erinnerung an das Massaker von Szczurowa ein, das im Mai 1966 eingeweiht wurde.

1993 wurde neben dem Denkmal ein großes Holzkreuz aufgestellt, das bis heute von Schülern der örtlichen Schule gepflegt wird.  

Krystyna kämpfte weiter dafür, dass die Namen der Opfer auf der Gedenktafel genannt werden. Im Jahr 2014 wurden schließlich die Namen ihrer Mutter, ihrer Geschwister, Tanten und Cousins hinzugefügt.  

In den 1990er Jahren war sie in dem Verein der Roma in Polen aktiv.  

Im Jahr 2000 gründete sie die erste Organisation für Roma-Frauen in Polen.  

Sie arbeitete unermüdlich daran, junge Menschen darüber aufzuklären, was sie erlebt und was sie verloren hatte. Sie wollte ihnen bewusst machen, was passieren kann, wenn man den Antiziganismus ignoriert, wenn man die Geschichte ausblendet.  

Wir sind hier, weil wir uns gegen die Ignoranz gegenüber der Vergangenheit positionieren. Wir sind hier wegen solcher Menschen wie Krystyna. Wir sind hier, um ihre Arbeit fortzusetzen.  

Im Jahr 2020 verpflichteten sich die Mitgliedsländer der Internationalen Allianz zur Erinnerung an den Holocaust (IHRA) dazu, dieser Ereignisse zu gedenken und die Opfer und Überlebenden zu würdigen.  

Im selben Jahr haben wir die Arbeitsdefinition der IHRA für Antiziganismus/Anti-Roma-Diskriminierung beschlossen, die einen Ausgangspunkt für die Bewusstmachung und das Tätigwerden darstellt.

2018 schloss die tschechische Regierung die industrielle Schweinefarm in Lety, die sich auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers für Roma befand. Im März dieses Jahres nahm ich an der bewegenden Zeremonie zur Einweihung der Gedenkstätte Lety teil.   

Die Erinnerung hat über die Versäumnisse gesiegt, und eine Regierung hat sich ihrer Pflicht gegenüber der Vergangenheit angenommen.   

Anfang dieses Jahres wurde die bahnbrechende Online-Enzyklopädie des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma in Europa veröffentlicht.  

Sie stellt den ersten umfassenden Überblick über das vorhandene Wissen über die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus dar.. 

Wie Sie gestern gehört haben, arbeitet die IHRA derzeit an der Fertigstellung einer Reihe von Empfehlungen, die politischen Entscheidungsträgern helfen sollen, diese Geschichte in die Lehrpläne aufzunehmen.   

Sie wird zusammen mit den vom Europarat entwickelten Materialien für den Schulunterricht über die umfassendere Geschichte der Roma in Europa erscheinen.   

Diese Meilensteine sind das Ergebnis der Arbeit von Aktivisten und Überlebenden wie Krystyna, die leider im Jahr 2021 verstorben ist.   

Krystynas Botschaft an junge Menschen war einfach. Und sie bleibt eine Mahnung für uns alle:   

"Respektiert einander, liebt einander. Hasst einander nicht, denn das führt zu nichts Gutem, nur zu Schlechtem". 

Wir erinnern uns, weil die Nichtbeachtung dieser Geschichte heute zur Diskriminierung der Roma führt.  

Wir erinnern uns, um sicherzustellen, dass Regierungen und Gesellschaften offen und ehrlich unsere Vergangenheit aufarbeiten. Demokratische Werte können nur auf der Wahrheit fußen, und die Wahrheit kann uns niemals zum Nachteil gereichen. 

 Krystyna und andere Überlebende und Aktivistinnen haben den Grundstein gelegt. 

Jetzt liegt es an uns, die Aufklärung, das Gedenken und die Erforschung dieser Geschichte wirklich in unseren Institutionen zu verankern.  

 Es liegt an uns, uns an die Wahrheit zu erinnern.  

 
 

Stellungnahmen 2024

Piotr Cywinski

Direktor des Staatlichen Museums und der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau

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Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des Europäischen Parlaments

Kofinanziert von der Europäischen Union und kofinanziert und durchgeführt vom Europarat

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