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2 August 2024

Władysław Teofil Bartoszewski

Staatssekretär, Außenministerium der Republik Polen

Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktages der Sinti und Roma am 2. August 2024

Wir befinden uns an einem Ort, an dem speziell am 2. August die Vernichtung der Roma und Sinti im Mittelpunkt des europäischen Gedenkens steht.  

Wir erinnern uns an eine grausame und schmerzhafte Zeit, die die Zivilisation in Finsternis hüllte. Der industriell verrichtete Menschenmord, der in Auschwitz-Birkenau und an anderen Orten des Holocausts stattfand, stellt ein beispielloses Verbrechen dar, eine Agonie der Zivilisation. Der Nationalsozialismus schuf Gespenster, wie man sie nicht einmal in den Alpträumen vermutet hätte. 

Etwa 20.000 Roma und Sinti wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet. Die meisten von ihnen starben jedoch nicht direkt in den Lagern, sondern im Rahmen von Massenexekutionen an Orten, an denen sie zufällig gefangen genommen wurden. Die Morde wurden von Einsatzgruppen, Wehrmachtssoldaten, Gendarmerie und örtlicher Polizei sowie in einigen Fällen von Kollaborateuren ausgeführt. Insgesamt wurden während des Krieges etwa eine halbe Million Roma und Sinti ermordet. Fast jede Roma-Familie war von dieser Vernichtungsmaßnahme betroffen. Bis heute ist diese traumatische Erfahrung ein lebendiger Teil ihres kollektiven Gedächtnisses, auch wenn sie im öffentlichen Diskurs und in der Geschichtsschreibung aus vielen Gründen über viele Jahre hinweg ausgeblendet wurde.  

Bereits in den Nürnberger Prozessen wurde die Ausrottung der Roma und Sinti nur noch am Rande behandelt. Bis in die 1970er Jahre hinein war sie daher nach Aussagen der anerkannten Forscherin Dr. Gabrielle Tyrnauer „eine fast vergessene Fußnote in der Geschichte des nationalsozialistischen Völkermordes“. 1971 fand in London der erste Kongress der International Romani Union statt, der die Anerkennung des „vergessenen Holocausts“ einforderte. 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

Die Erinnerung sollte ein Spiegelbild der historischen Wahrheit sein. Im Jahr 1994 versammelten sich Roma und Sinti aus aller Welt am Ort des Geschehens in Auschwitz-Birkenau, um am 50. Jahrestag der Opfer des Konzentrations- und Vernichtungslagers zu gedenken.  

Seitdem treffen sie sich jedes Jahr am 2. August an diesem Ort.  

Es wird angenommen, dass die ersten Informationen zu diesem Thema in den polnischen Medien 1953 als Teil einer wissenschaftlichen Arbeit von Jerzy Ficowski das Licht der Welt erblickten. Ohne ihn hätten wir diese ergreifenden Klagelieder der Roma in Birkenau nicht gekannt: „Sie brachten uns durch die Tore herein, sie ließen uns durch die Schornsteine hinaus. Wir werden das Lager nicht verlassen, wir werden unsere Schwestern und Brüder nicht wiedersehen“. Wären nicht andere polnische Autoren wie Seweryna Szmaglewska, Autorin von „Dymów nad Birkenau“ (Rauchwolken über Birkenau), einem 1945 veröffentlichten Erinnerungsbuch, würden wir diesen Bericht über die letzten Momente der Roma in Auschwitz nicht kennen: 

(....) Einige Wochen später erwachten die Männerlager aus ihrem Schlummer, geweckt durch die Schreie tausender Menschen. (...) (…) 

In dem hell angestrahlten Zigeunerlager, das von den SS-Männern gestürmt wird, rennen Zigeuner, Zigeunerfrauen und ihre Kinder auf die Straße hinaus. In Fünfergruppen aufgestellt, wird ihnen befohlen, auf die Straße hinauszugehen und zum Krematorium zu laufen. Sie widersetzen sich und so ertönen die Schreie über Birkenau. Die Schreie dauern die ganze Nacht an, aber am Morgen ist das Zigeunerlager leer. (...) (…) 

Meine Damen und Herren! 

Die Liste der Nazi-Verbrechen ist lang und entsetzlich. Wir können die Vergangenheit nicht ändern. Aber wir können ihre Spätfolgen überwinden. Wir sollten uns bewusst machen, dass Sinti und Roma auch 80 Jahre nach diesen Ereignissen in ihrem täglichen Leben Hassreden, Gewalt, Diskriminierung und Rassismus erfahren. Die schwierige und schlimme Geschichte und die gegenwärtige Situation können geändert werden, es liegt an uns, den Menschen guten Willens. Das Gedenken ist mehr als nur ein Erinnern, ein Begehen. Für uns Zeitgenossen sollte es bedeuten, das Böse niemals zu dulden, die Missachtung des Anderen niemals zu akzeptieren, niemals zuzulassen, dass die Ideologie des Hasses Fuß fasst. Entschlossen und frühzeitig gegen diejenigen vorzugehen, die bereit sind, das menschliche Leben und die Menschenwürde mit Füßen zu treten.

Zu Beginn der 1990er Jahre wurde in Polen eine Reihe von Roma-Organisationen gegründet. Eines ihrer Hauptziele besteht darin, an die Tragödie des Krieges zu erinnern, sich aber gleichzeitig um das heutige Dasein und bessere Möglichkeiten für die Roma-Gemeinschaft zu kümmern. Unter uns ist der Verband der Roma in Polen, der von dem Vorsitzenden Roman Kwiatkowski geleitet wird. Der Verband hat 2019 den ersten und bisher einzigen Guide für Besucher der Gedenkstätte und des Museums Auschwitz-Birkenau veröffentlicht, der den Roma-Häftlingen des Lagers gewidmet ist und den Titel „Die Vernichtung der europäischen Roma in Auschwitz“ trägt. An dieser Stelle möchte ich dem Verband und seinem Vorsitzenden, sowie dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma unter der Leitung von Herrn Romani Rose, der die Gedenkveranstaltung am 2. August organisiert hat, meinen größten Dank aussprechen. Ohne ihre Bemühungen und ihre Beharrlichkeit wäre unser Gedenken an den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Besatzung nicht vollständig. 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. 

Władysław Teofil Bartoszewski 

Staatssekretär 

Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Polen 

Stellungnahmen 2024

Piotr Cywinski

Direktor des Staatlichen Museums und der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau

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