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2 August 2023

Nicola Beer

Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments

Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktages der Sinti und Roma am 2. August 2023

Liebe Überlebenden des Holocausts an den Sinti und Roma,
Liebe Frau Pohl,
Sehr geehrter Herr Rose, Herr Kwiatkowski und Herr Cywinski,
Meine Damen und Herren!

Es ist eine große Ehre und Verantwortung für mich, heute als Vizepräsident des Europäischen Parlaments vor Ihnen zum Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma zu sprechen.

Im Jahr 2015 erklärte das Europäische Parlament den 2. August zum Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma. An diesem Tag im Jahr 1944 wurden die letzten 4300 Sinti und Roma in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau brutal ermordet. Sie alle hatten ihre eigene Geschichte zu erzählen, wollten ihre Träume verfolgen und ihr Leben leben.

Der Schmerz und die Trauer über ihren Verlust werden in dem Gedicht von Santino Spinelli, Auschwitz, anschaulich dargestellt:

‚Eingefallenes Gesicht
erloschene Augen
kalte Lippen
Stille
ein zerrissenes Herz
ohne Atem
ohne Worte
keine Tränen‘.

Dieses Gedicht ist in den Metallrahmen des Wasserbeckens des 2012 in Berlin eröffneten Nationalen Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas eingraviert.

Fast eine halbe Million Sinti und Roma wurden auf barbarische Weise ermordet - unvorstellbare Akte des Terrors, des Todes und der Zerstörung durch das Nazi-Regime. Viele von ihnen starben im Vernichtungs-lager hier in Auschwitz-Birkenau. Die grausamen Verbrechen, die die Deutschen begangen haben, erfüllen mich persönlich mit Scham, Wut und Trauer.

Die Erinnerung an den Holocaust ist heute notwendig. Unverzichtbar.
Die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs haben uns vor allem eines gelehrt: Nie wieder!

Wir müssen heute und in Zukunft daran erinnern, dass sich diese unverzeihlichen Taten gegen die Menschlichkeit weder in Europa noch in einem anderen Teil der Welt wiederholen dürfen. Es ist unsere Pflicht und Verantwortung, uns zu erinnern. Es muss unsere gemeinsame Verantwortung sein, die nächsten Generationen über den Holocaust an den Sinti und Roma aufzuklären.

Wir müssen über ihre Geschichte und ihre aktuelle Situation aufklären. Zur Erinnerung gehört auch, dass wir als Gesellschaft gegen jede Form von Diskriminierung und Rassismus im Kern kämpfen.

Trotz jahrelanger Arbeit ist es uns nicht gelungen, die Diskriminierung im heutigen Europa zu beenden:
Antiziganismus ist nach wie vor eine weit verbreitete Form des Rassismus in unseren Gesellschaften. Umfragen haben ergeben, dass über 40 % der Sinti und Roma in den vergangenen fünf Jahren Diskriminierung er-fahren haben.

Diese erschreckenden Zahlen stehen im Widerspruch zu unseren europäischen Grundwerten und zu unserem Verständnis von Gleichheit für alle Menschen. Das ist absolut inakzeptabel. Es muss jedem klar sein: Sinti und Roma sind europäische Bürger mit den gleichen Rechten, Freiheiten und Perspektiven.

Das Europäische Parlament muss seine Bemühungen in dieser Hinsicht verstärken: Rassismus und negative Stereotype müssen in ihrem Kern bekämpft werden, während gleichzeitig das Bewusstsein für die einzigartige Geschichte und Kultur der Sinti und Roma gestärkt wird. Ich begrüße den strategischen Rahmen der EU zur Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma, der den Mitgliedsstaaten klare Ziele zur Bekämpfung von Antiziganismus und Diskriminierung in allen Lebensbereichen vorgibt.

Der heutige Gedenktag sollte jedoch auch als Mahnung für jede Generation dienen. Totalitarismus, virulenter Nationalismus und Extremismus dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Gemeinsam müssen wir uns um ein respektvolles und verständnisvolles Zusammenleben bemühen.

Gleichzeitig sind wir moralisch, gesellschaftlich und politisch verpflichtet, die Erinnerung an die Opfer des Holocaust und die Überlebenden zu bewahren.

Sie, Frau Pohl, und andere Überlebende sind so großherzig, ihre Lebensgeschichten und Erfahrungen mit uns zu teilen. Auch wenn es oft schmerzhaft ist, Ihnen zuzuhören, haben Sie das Potenzial, unser Mitgefühl zu steigern, uns zu inspirieren und uns zu ermutigen, gegen Diskriminierung, Rassismus und alle Ver-brechen gegen die Menschlichkeit zu kämpfen.

Deshalb freue ich mich besonders, dass heute so viele junge Menschen aus ganz Europa hier bei uns sind, die jedes Jahr an der europäischen Jugend-Gedenkveranstaltung "Dikh He Na Bister" teilnehmen. In der Sprache Romanes bedeutet dieser Satz: "Schau hin und vergiss nicht". Es ist wichtig, Menschen, Politiker, Jugendliche für eine lebendige und blühende Zivilgesellschaft zu engagieren und zu ermutigen, für unsere Werte einzutreten und sich für eine Gesellschaft frei von Diskriminierung, Hass und Gewalt einzusetzen.

Unsere Verpflichtung gegenüber den Opfern des Holocaust besteht darin, dass die Erinnerung an sie nicht verloren geht, sondern durch die Generationen hindurch weiterlebt.

Ich möchte allen hier Anwesenden danken, die sich für die Bewahrung dieser Erinnerung einsetzen.

Das bedeutet mir sehr viel.
Dankeschön.

Stellungnahmen 2023

Romani Rose

Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma

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Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des Europäischen Parlaments

Kofinanziert von der Europäischen Union und kofinanziert und durchgeführt vom Europarat

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