Foto: Jaroslaw Praszkiewicz

Die Vernichtung der Sinti und Roma im "Zigeunerfamilienlager"

Auszug aus "Die Vernichtung der europäischen Roma im KL Auschwitz"

Die im Zigeunerlager inhaftierten Sinti und Roma starben aufgrund von Krankheiten, Hunger, medizinischen Versuchen und unmenschlichen Lebensbedingungen. Sie wurden zudem Opfer von Massenmorden. Laut Bericht eines Häftlings wurden am 23. März 1943 ca. 1700 polnische Roma aus Białystok ermordet, von denen einige an Flecktyphus erkrankt waren. Diese Roma wurden nicht im Lager registriert. Im Februar 1943 wurden sie in den Blöcken 20 und 22 im Zigeunerfamilienlager einquartiert und die Blöcke anschließend vom Rest des Lagers isoliert. Die meisten von ihnen wurden in der Gaskammer des Krematoriums II in Birkenau ermordet.

Dr. Mengele (...) ließ den Lagerältesten Brodniewicz die SS-Männer holen und dann die Zigeuner aus den Baracken 20 und 22 rausführen. Die Herausgetriebenen stellten sich auf der Lagerstraße auf, jedoch nicht ohne Schläge. Diese Tätigkeiten wurden von den deutschen Blockältesten und vom Lagerältesten Bruno Brodniewicz verrichtet. Nachdem sich die Zigeuner aufgestellt hatten und gezählt wurden, befahl Dr. Mengele den inzwischen angekommenen SS-Männern, die gesamte Gruppe, bestehend aus ca. 1700 Personen, in Richtung Lagerausgang zu begleiten. Daraus folgte, dass auch die anderen Zigeuner in ihre Blöcke getrieben wurden. Der Transport bestand aus Männern, Frauen und Kindern unterschiedlichen Alters. Unter Aufsicht der SS-Männer gingen die Zigeuner durch das Tor, dann die Straße zwischen den Krematorien IV und V entlang, dann bogen sie in den Weg an der im Bau befindlichen Sauna, um schließlich in dem kleinen Wäldchen neben dem Krematorium III zu verschwinden. Ich beobachtete den ganzen Vorgang und konnte sehen, dass sie aus westlicher Richtung die Treppe hinunter in den Ausziehraum und die Gaskammer des Krematoriums II gingen. Es war nicht sonderlich schwer, die Zigeuner in diese Räume zu treiben, insbesondere da die Tarnung, die von den Erbauern der Gaskammer und des Krematoriums durch das Anbringen von Rohren an der Decke und durch das Verteilen von Seife und Handtüchern erzielt wurde, jeden in Sicherheit wog. Doch das instinktive Misstrauen der Zigeuner führte zu Unruhen und einem gewissen Widerstand, den die SS-Männer und die Juden vom Sonderkommando aber durch Schläge brechen konnten. Es war nicht mehr als eine halbe Stunde vergangen, seit der letzte Zigeuner in den Ausziehraum gepfercht worden war, da erschien Rauch über dem Schornstein des Krematoriums II. Der Westwind wehte den süßlichen Geruch verbrennender Körper zu uns herüber, die letzte Spur der 1700 Zigeuner (...).

Am 25. Mai 1943 wurden 1035 Menschen ermordet – 507 Männer und 528 Frauen. Es handelte sich dabei um polnische Roma aus der Region Białystok und österreichische Sinti, die am 12. Mai 1943 ins Zigeunerlager gebracht worden waren. Auch unter ihnen wurden Fälle von Flecktyphus festgestellt. Die Opfer dieser Massenhinrichtung wurden jedoch im Lager registriert. Der ehemalige Häftling Tadeusz Joachimowski erinnert sich an dieses Ereignis (wobei er die Opferzahlen anders einschätzt) wie folgt:

Um den 12. Mai 1943 wurden aus Białystok 971 polnische Zigeuner eingeliefert. Am selben Tag kamen auch 76 Zigeuner aus Österreich an. Sie wurden in denselben Block eingeteilt. Nach einigen Tagen wurde festgestellt, dass sich in dem Transport aus Białystok Typhuskranke befanden. Sie wurden in den Krankenbau verlegt und Dr. Mengele wurde verständigt. (…) Dr. Mengele führte eine Selektion im Krankenbau durch, bei der er die Typhuskranken aussortierte. Sie wurden zusammen mit all den polnischen und österreichischen Zigeunern, die um den 12. Mai ins Lager eingeliefert worden waren, in die Gaskammern gebracht und dort durch Gas ermordet.

Im Frühjahr 1944 begann man, junge, gesunde und arbeitsfähige männliche sowie weibliche Häftlinge des Zigeunerlagers in andere Arbeits- und Konzetrationslager im Reichsgebiet zu verlegen. Bei einer der Selektionen entschieden sich die Häftlinge, Widerstand zu leisten, in der Überzeugung, dass dies der Beginn der Liquidierung ihres Lagers war. Sie verschanzten sich in ihren Baracken und kamen der Aufforderung der Wachen, rauszukommen, nicht nach, wodurch sie eine Planänderung erzwangen. An dieses Ereignis wird heutzutage von Roma-Aktivisten besonders intensiv erinnert. Der sogenannte Tag des Widerstands der Roma, der 16. Mai, ist Teil des gesellschaftlichen Rahmens der Erinnerung an die Vernichtung der Sinti und Roma, der von der politischen Bewegung der Diaspora gewürdigt wird. Der Gedenktag soll an den aktiven Widerstand und Kampf der Sinti und Roma gegen die Ausrottungspolitik der Nazis und ihrer Handlanger erinnern.

Gegen 19:00 Uhr hörte ich den Gong, der die Lagersperre ankündigte. Vor dem Zigeunerlager hielten Autos, aus denen eine Gruppe von ca. 50-60 SS-Männern mit Maschinengewehren ausstieg. Die SS-Männer umstellten die Baracken, in denen die Zigeuner untergebracht waren. Einige von ihnen betraten eine Wohnbaracke mit dem Gebrüll „los, los“. In den Baracken herrschte völlige Stille. Die darin versammelten Zigeuner warteten, mit Messern, Schaufeln, Eisen, Brecheisen und Steinen bewaffnet, darauf, was jetzt kommen würde. Sie verließen ihre Baracken nicht. Die SS-Männer waren verdutzt. Sie gingen wieder raus. Nach einer kurzen Absprache begaben sie sich in die Blockführerstube zum Kommandanten der Aktion. Kurz darauf hörte ich einen Pfiff. Die SS-Männer, die die Baracken umstellt hatten, verließen ihre Posten, stiegen in die Autos und fuhren davon.

An den darauffolgenden Tagen wurden die Selektionen im Zigeunerlager fortgesetzt und dabei die jüngeren und kräftigeren Häftlinge ausgesucht. Ein wichtiges Kriterium war dabei auch der Militärdienst: ehemalige Wehrmachtssoldaten durften auch ihre Familien mitnehmen. Letztendlich wurde eine Gruppe von über 1500 Menschen ausgesondert, die am 23. Mai 1944 nach Auschwitz I überführt und in den Blöcken 9 und 10 untergebracht wurden. Knapp über 200 von ihnen wurden am nächsten Tag in Konzentrationslager im Reichsgebiet überstellt: ins KL Flossenbürg (82 Männer) und ins KL Ravensbrück (144 Frauen).

Sinti und Roma in Auschwitz

Sign of Block 11; photo taken by Jaroslaw Praszkiewicz.

Block 11

Auszug aus "Die Vernichtung der europäischen Roma im KL Auschwitz"

Photo of flower in front of barbed wire fence taken in Auschwitz-Birkenau by Jaroslaw Praszkiewicz.

Fluchten

Auszug aus "Die Vernichtung der europäischen Roma im KL Auschwitz"

Photo of KL Auschwitz II-Birkenau taken by Jaroslaw Praszkiewicz.

Kinder

Auszug aus "Die Vernichtung der europäischen Roma im KL Auschwitz"

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