2. August 2021
Romani Rose
Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma
Gedenkrede zum 2. August 2020, Internationaler Gedenktag an den Holocaust an Sinti und Roma
Am 2. August 1944 wurden, die letzten noch im sogenannten „Zigeunerlager“ lebenden 4.300 Sinti und Roma in den Gaskammern ermordet. Dieser Tag ist Symbol für den Holocaust der Nazis an über 500.000 Sinti und Roma im besetzten Europa.
Wir gedenken heute dieser Opfer. Wir gedenken aller Opfer des Völkermords, und wir gedenken aller Opfer des Nationalsozialismus.
Für die wenigen Überlebenden, die zuvor als Arbeitssklaven in andere Konzentrationslager transportiert worden waren, war und ist es bis heute Verpflichtung, die Erinnerung an diese Verbrechen und das Gedenken an die Opfer zu bewahren.
Lily van Angeren, die als Lagerschreiberin in Auschwitz-Birkenau das Lager überlebte, sagte : "Ich möchte eigentlich noch der Mund sein, der sprechen kann für alle Toten, die dort geblieben sind. Dass die Welt auch noch begreift und weiß, was mit uns passiert ist."
Das Europäische Parlament hatte in einer Entschließung vor fünf Jahren den 2. August zum Europäischen Gedenktag erklärt, und die Mitgliedsstaaten sind nach wie vor aufgefordert, den 2. August in ihren Ländern zum Gedenktag an den Holocaust an Sinti und Roma zu erklären. Es ist für uns heute wichtig, daß dieser 2. August von der Republik Polen als erstem Staat in Europa als Gedenktag anerkannt wurde.
Der Holocaust an Sinti und Roma wie an Juden, die Massenmorde der Nazis in Europa, waren ein Zivilisationsbruch, ein Menschheitsverbrechen, der uns verpflichtet, heute gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus unsere Stimme zu erheben.
Europa steht hier angesichts eines in vielen Ländern etablierten rassistischen Nationalismus vor großen Herausforderungen. Das Bewußtsein für unsere Demokratie, für Rechtsstaat und für unsere europäischen Werte ist nicht länger mehr Garant für den Bestand unsrer Demokratie, wenn nationalistische Parteien und Regierungen in vielen europäischen Ländern in genau diesem rassistischen Nationalismus bestätigt werden. Wir erleben seit langem, wie sich der Hass gegen Sinti und Roma, gegen Juden und andere Minderheiten immer mehr verbreitet, die Anschläge in Halle im Oktober des vergangenen Jahres oder in Hanau im Februar 2020 sind nur die jüngsten Beispiele eines immer gewaltsamer werdenden Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus.
Sinti und Roma sind seit über 700 Jahren in den Ländern Europas ansässig, wir sind Staatsbürger in unseren Heimatländern. Es waren die Nazis, die zuerst uns erfaßt und ausgegrenzt, die uns die Staatsbürgerschaft aberkannt haben und dann deportiert und schließlich vollständig ermorden wollten. Die Nazi-Ideologie verband einen mörderischen Nationalismus mit einem todbringenden Antiziganismus und beides wurde zur Grundlage und zur Rechtfertigung des gesamten Staates und der Gesellschaft. Der Rassismus der Nazis mit seinem Kern eines extremen und radikalen Antisemitismus und Antiziganismus war das eigentliche Wesen des Dritten Reichs und dies kennzeichnet den Holocaust: ein Verbrechen an der Menschheit, ein in der Geschichte einmaliger Zivilisationsbruch.
Das 20. Jahrhundert war geprägt von zwei Weltkriegen und von unzähligen Kriegen in nahezu allen Teilen der Welt. Jetzt, im 21. Jahrhundert, sind wir mit einer Situation konfrontiert, in der nicht nur die Demokratien sich gleichsam selbst aufgeben, wo rechtsstaatliche Prinzipien systematisch abgebaut werden und wo vor allen Dingen die unterschiedlichen Lager innerhalb unserer Gesellschaft kaum noch miteinander sprechen können oder wollen. Dies zusammengenommen ist eine unhaltbare Situation, die wir nur durch eine gemeinsame Anstrengung überwinden können.
Auschwitz ist das Gewissen der Wertegemeinschaft demokratischer Staaten. Wir alle dürfen nicht länger schweigen und verharmlosen, wir dürfen nicht wegschauen, wenn Rassismus sich kundtut, wenn Nationalismus sich gegen Europa, gegen unsere gemeinsamen demokratischen Werte wendet, wenn Nationalisten und rechte Organisationen unsere Demokratie und den Rechtsstaat beseitigen wollen.
Das ist die Verpflichtung, die uns hier in Auschwitz-Birkenau und in den anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern oder von den Einsatzgruppen der SS ermordeten Menschen auferlegt wird, und der wir uns gemeinsam in Europa stellen müssen.
Stellungnahmen 2022
Romani Rose
Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma
Zuzana Čaputová
Präsidentin der Slowakischen Republik
Alexander Van der Bellen
Bundespräsident der Republik Österreich
Stevo Pendarovski
Präsident der Republik Nordmazedonien
Helena Dalli
Kommissarin für Gleichheitspolitik, Europäische Kommission
Marija Pejčinović Burić
Generalsekretärin des Europarates
David Sassoli
Präsidentin des Europäischen Parlaments
Wolfgang Schäuble
Präsidentin des Deutschen Bundestages
Stéphane Dion
Botschafter Kanadas in der Bundesrepublik Deutschland, Sonderbeauftragter Kanadas für die EU und Europa
Michaela Küchler
Vorsitzender der Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken (IHRA)
Michael O’Flaherty
Direktor der Grundrechteagentur der Europäischen Union (FRA)
Ryszard Terlecki
Vizepräsident des Parlaments der Republik Polen
Ronald Lauder
Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC)
Roman Kwiatkowski
Präsident des Verbands der Roma in Polen
Dr. Piotr M. A. Cywiński
Direktor des Staatichen Museums Auschwitz-Birkenau