2. August 2021

Paul Blokhuis

Niederländischer Staatssekretär

Statement anlässlich des Europäischen Holocaust-Gedenktages der Sinti und Roma 2021

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Am 19.Mai 1944 wurden aus dem Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden 247 Sinti und Roma ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Drei Tage lang saßen sie zusammengepfercht in geschlossenen, heißen Güterwaggons, ohne Ausblick, ohne Essen und fast ohne Trinken.

Unter ihnen war die sechzehnjährige Mädie Franz. Zusammen mit neun anderen Familienmitgliedern war sie einige Tage zuvor bei einer großangelegten Razzia in Beek, einem Dorf im Süden der Niederlande, von der Polizei aus ihrem Wohnwagen geholt worden.

Mädie hat das Lager überlebt. Als eine der wenigen: von den 247 Sinti und Roma aus Westerbork wurden 215 ermordet. Darunter auch viele von Mädies angehörigen.

Nach ihrer Rückkehr in die Niederlande redete Mädie nicht über den Krieg. Über die schrecklichen Erlebnisse aus den Lagern sprechen? Das konnte sie nicht. Klagen war auch nicht ihre Sache. Und die Toten, so meinte sie, sollte man in Frieden ruhen lassen. Und so schwieg sie.

Als Mädie älter wurde, ließ sie die Vergangenheit nach und nach zu. Ihr wurde klar, dass sie ihre Geschichte erzählen muss. Um die Erinnerung – trotz allen Schmerzes – lebendig zu halten. Für die neuen Sinti-und-Roma-Generationen. Und für alle anderen Menschen

Heute, am Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma, gedenken wir des Porajmos, des Völkermords an den Sinti und Roma während des Zweiten Weltkriegs

Zu lange ist dies nicht geschehen. Zu lange mussten die Sinti und Roma darauf warten, dass das, was ihnen angetan wurde, anerkannt wird. Zu lange wurden sie in den Geschichtsbüchern nicht erwähnt. Gab es kaum Gedenkstätten. Hörte man ihnen nicht zu.

Das alles hat dazu beigetragen, dass Sinti und Roma in Europa häufig noch immer benachteiligt sind. Sie fühlen sich ausgeschlossen und diskriminiert, weil sie so sind, wie sie sind.

Auch in den Niederlanden schlug Sinti und Roma, die den Krieg überlebt hatten, große Kälte entgegen.

Erfreulicherweise hat sich seither viel getan. Was die Anerkennung betrifft, sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Heute blicken wir gemeinsam in die Vergangenheit und in die Zukunft. Zusammen mit den wunderbaren, einzigartigen Menschen aus der Gemeinschaft der Sinti und Roma.

Persönliche Geschichten helfen uns dabei, das Geschehene zu ergründen und jene Menschen besser zu verstehen, die ihrer Freiheit beraubt wurden. Sie lehren uns, was passieren kann, wenn Gesetzlosigkeit, Gleichgültigkeit, Hass und Intoleranz die Oberhand gewinnen.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir Mädies Geschichte und die Geschichten aller Sinti und Roma immer wieder erzählen. Und deshalb erzähle auch ich diese Geschichte, die mich nie losgelassen hat, heute noch einmal. Damit wir die Menschen hinter diesen Geschichten niemals vergessen!

Eröffnungsreden

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